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TRE® – Stresslösende Selbstregulation durch neurogenes Zittern

Neurogenes Zittern und Hochsensibilität

Unser Nervensystem funktioniert mit zwei Gegenspielern, dem Sympathikus, der für Aktivierung sorgt und dem Parasympathikus, der Ruhe und Erholung einkehren lässt. Wenn Gefahr droht, dann reagiert dieses unbewusst gesteuerte Nervensystem mit Aktivierung und sobald wir wieder in Sicherheit sind mit Erholung.

Neurogenes Zittern als natürlicher Reflex

Stress ist eine natürliche Reaktion auf Situationen, welche von uns eine erhöhte Aktivierung erfordern. Wir werden leistungsfähiger indem zusätzliche physische und psychische Ressourcen aktiviert werden. Unter Stress schüttet unser Körper Adrenalin aus und in unseren Muskeln wird Spannung aufgebaut, was uns automatisch auf Kampf oder Flucht vorbereitet. Dabei spielt es keine Rolle ob dieser Stress durch einen Konflikt, durch einen Unfall oder durch eine zu hohe Reizflut in Alltagssituationen ausgelöst wird.

Viele Menschen sind in der heutigen Zeit pausenlos im Stressmodus. Unsicherheit und Druck bestimmen den Alltag und führen zu einer ständigen Überaktivierung des Nervensystems. Hochsensible respektive hochsensitive Personen nehmen diese Reize noch stärker wahr, wodurch deren Nervensystem zusätzlich erregt wird. Folgen eines allzeit überaktivierten Nervensystems sind chronische Verspannungen, innere Unruhe, Schlafstörungen, Gereiztheit, Stimmungsschwankungen, bis hin zu Burnout. Stresshormone schwächen auch die Immunabwehr und beeinflussen das Verdauungssystem.

Wir Menschen haben ein angeborenes Selbstregulierungssystem, welches uns hilft, diese Überaktivierung in den entspannten Grundzustand zurückzuführen und die Muskelspannung wieder abzubauen: das neurogene Zittern. Dieser Zitterreflex ist ein natürlicher und angeborener Teil unseres Organismus und wird vom Hirnstamm ausgelöst. Er unterliegt nicht unserer bewussten Kontrolle und funktioniert ohne Zutun der denkenden, bewussten Hirnregionen. Das Zittern ist ein normaler physiologischer Vorgang in unserem Bewegungsapparat, der im kleinen, nicht sichtbaren Bereich, stets stattfindet.

Wenn wir Menschen nach, beziehungsweise unter starkem Stress Zittern würden, könnten wir das Nervensystem zurück in Balance bringen. Das angeborene Zittern haben sich die meisten von uns unbemerkt abgewöhnt und finden nun als Erwachsene keinen Zugriff mehr darauf. Wenn die Energie jedoch nicht wieder reguliert wird, dann verfestigt sie sich als muskuläre Verspannung und überaktiviertes Nervensystem.

In existentiell bedrohlichen Situationen reagiert der Körper nicht mehr mit Kampf oder Flucht, sondern mit Erstarrung. In diesem Notfallprogramm dominiert Hilflosigkeit und Ohnmacht und der Körper versucht nur noch zu funktionieren und zu überleben. Bei solch überfordernden Erfahrungen übernimmt der Hirnstamm die Kontrolle und aktiviert instinktive Überlebensreaktionen. Das denkende Hirn (Neokortex) wird dabei abgekoppelt und ausgeschaltet.

Problematisch wird dies dann, wenn der Organismus so überfordert ist, dass ein Mensch dauerhaft in seinen Verteidigungsstrategien feststeckt, was wir als traumatisiert bezeichnen. Dabei spielt es keine Rolle was das Ereignis war, sondern nur wie das Nervensystem auf die entsprechende Situation reagiert. Wird diese Trennung zwischen Hirnstamm und Kortex dauerhaft nicht aufgelöst, kann es zu einer übermässigen Wachsamkeit, einer Hypervigilanz, führen. Diese zeigt sich in Verhaltensweisen wie Angstzuständen, Depressionen, Anfälligkeit auf Krankheiten, Substanzmissbrauch, Impulsivität und Gewalttätigkeit.

Hochsensibilität und Hypervigilanz

In Alltagssituationen kann das Verhalten einer hochsensiblen Person sehr ähnlich eines Menschen sein, der infolge einer traumatischen Erfahrung eine Hypervigilanz erworben hat. Dies sind jedoch zwei unterschiedliche Phänomene.

Wegen der vielen Reize, welche aufgenommen und sehr differenziert verarbeitet werden, sind hochsensible Menschen oft dauerhaft an oder über der Grenze zur emotionalen Überforderung und Stress, was zu einer traumatischen Erfahrungen werden kann. So können Hochsensible zusätzlich eine Hypervigilanz entwickeln, was die Grenze unklarer werden lässt. Auch sind sie besonders gefährdet eine Erschöpfung oder gar ein Burnout zu erleiden, denn nur zu gut kennen sie Selbstzweifel, angestrebte Perfektion, Versuche der Anpassung und die Frage nach Sinnhaftigkeit.

Sowohl bei Personen mit Hochsensibilität, wie auch mit einer Hypervigilanz, ist durch eine höhere Empfindlichkeit auf äussere Einflüsse die Schwelle der Überreizung früher erreicht als bei anderen Menschen. Wie mit der Reizflut umgegangen wird und wie schnell jemand wieder in die emotionale Komfortzone zurückfindet, hängt unter anderem mit der Fähigkeit zur Selbstregulation zusammen.

Hochsensible, die keine zusätzliche Traumatisierung erfahren haben, treten in vielerlei Hinsicht anders in Erscheinung als traumatisierte Individuen. Zeigen sich bei hochsensiblen Menschen Anzeichen einer Traumafolgestörung, dann sollten diese nicht nur auf die Hochsensibilität zurückgeführt und als gegeben hingenommen werden. In diesen Fällen macht es Sinn gezielt mit TraumatherapieEinfluss zu nehmen und dadurch die Lebensqualität der Betroffenen deutlich zu steigern.

Symptome einer Hypervigilanz wären beispielsweise folgende: Rastlosigkeit und Nervosität, das Gefühl, nicht zur Ruhe kommen zu können, Schlafprobleme, auch intensive angenehme Emotionen sind nicht einfach auszuhalten, der Versuch mit Suchtmitteln die Gefühle zu betäuben, Erinnerungslücken, Schwierigkeiten Bindungen einzugehen, ein Gefühl der Leere, ein erschwerter Zugang zu sich selber und den eigenen Empfindungen, Schwierigkeiten die eigenen Grenzen wahrzunehmen und zu spüren, was einem gut tut.

Im Gegensatz dazu weisen hochsensible Menschen ohne Traumatisierung eher folgende Eigenschaften auf: sie geniessen die Zeit für sich alleine, schlafen viel, lehnen Suchtmittel ab, haben viele Erinnerungen auch an sehr frühe Lebensjahre, lieben tiefe Verbindungen in Freundschaft und Partnerschaft, haben ein sehr sensibles Körpergefühl und einen guten Kontakt zu ihren Emotionen.

Wenn durch eine Reizflut die Komfortzone verlassen wird, sind die Reaktionen von Menschen mit Hochsensibilität und mit Hypervigilanz nicht unterscheidbar. Hochsensible, die auf ihre Körperwahrnehmung achten und sich selber gut regulieren können, werden relativ bald wieder in ihrer emotionalen Komfortzone sein. Traumatisierte Menschen hingegen fühlen sich solchen Situationen eher ausgeliefert und verbleiben im Erstarren, Kampf- oder Fluchtmodus.

Stärken hochsensible Menschen ihre Selbstregulation, können sie besser mit den vielen Reizen umgehen. Wenn ihr Nervensystem in Balance ist, vergrössert sich ihre emotionale Komfortzone und somit reduziert sich der Alltagsstress.

TRE® (Tension & Trauma Releasing Exercises) – ein Zugang zum neurogenen Zittern

Um das neurogene Zittern als Selbstheilungsmechanismus unseres Körpers zu nutzen, muss es nicht in dem Sinne erlernt werden, denn es ist von Geburt an in uns angelegt. Es geht vielmehr darum, den Zugang dazu wieder zu entdecken und dem Körper das Zittern zu erlauben. In verschiedenen Körperpsychotherapien, insbesondere der Bioenergetik, wird das neurogene Zittern mit seinen traumalösenden Qualitäten therapeutisch genutzt.

TRE® (Tension & Trauma Releasing Exercises) wurde von dem Bioenergetiker und Psychotherapeut Dr. David Berceli entwickelt. Die Methode soll Menschen die Möglichkeit geben, das neurogene Zittern auch ohne therapeutische Begleitung auf eine kontrollierte und anhaltende Weise hervorzurufen. Der menschliche Organismus kennt den Weg, auf diese Weise tiefe, chronische Spannungen zu lösen. Die Methode beinhaltet sieben einfache Körperübungen und kommt ohne Darüber-Sprechen oder bewusstes Sich-Erinnern aus. Der Körper darf loslassen, zittern und Heilung finden. Im TRE® kann nicht gesteuert werden, wann welche expliziten Situationen oder Gegebenheiten weggezittert werden. Die vermeintliche kognitive Kontrolle über den Heilungsprozess wird abgegeben und dem Organismus mit seinen Selbstheilungskräften vertraut.

Die Intensität und Dauer der Erfahrung kann jederzeit aktiv gestaltet werden und die so erlernte Selbstregulationsfähigkeit führt zu mehr Resilienz und Vertrauen in den Körper und dessen Wissen. In diesem achtsamen Umgang mit dem eigenen Körper können die Übungen nach einer Einführung selbstständig zu Hause gemacht werden, idealerweise mit gelegentlicher Begleitung durch eine:n augebildete:n TRE® Provider. Durch regelmässiges Zittern kann das Gefühl der Selbstwirksamkeit und der Lebendigkeit, sowie das innere Gleichgewicht wieder hergestellt werden.

Über den/die Autor*in

Manuela Mühlemann

Manuela Mühlemann bietet mit Methoden aus Coaching, TRE® und Gestalttherapie sowohl Einzelbegleitungen wie auch verschiedene Kurse und Seminare an. Sie ist TRE® Provider und Präsidentin des Vereins TRE® Schweiz und begleitet seit Jahren hochsensible Menschen auf ihrem Weg, wieder Zugang zum körpereigenen, tiefen Wissen zu bekommen und die hochsensible Persönlichkeit als das zu sehen, was sie ist: ein grosses Geschenk mit viel Potential. Manuela wird an der diesjährigen Tagung einen Workshop anbieten.

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