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Interview mit Ganesh J. Bormann, 27.2.2022 von Martin Bertsch

Ganesh, wer bist du?

O.k., du fängst also erst einmal mit den einfachen Fragen an. Aber ganz im Ernst. Zu erklären wer wir sind, ist alles andere als eine triviale Sache. Mein Lehrer, ein Meister des Rinzai Zen, hat mich einmal gedrängt, mich zu definieren. Ich konnte es nicht. Es gelang mir einfach nicht. Ich glaube, er war sehr zufrieden damit.

Du nennst dich auch Mystiker: Was ist damit gemeint?

Gewöhnlicher Weise empfinden wir uns als getrennte Individuen. Wir halten uns für Persönlichkeiten, die mit anderen Persönlichkeiten interagieren. Wir halten das so sehr für eine Tatsache, dass wir erst gar nicht auf die Idee kommen würden, das wirklich zu untersuchen. Aber wenn du dieses Tabu brechen würdest, wirst du ganz andere Erfahrungen machen. Du wirst aus deiner bisherigen Perspektive, die sich auf Annahmen, Glaubensvorstellungen und Vermutungen gründete, zu einer Perspektive des wirklichen Wissens über die Dinge erwachen. Aus relativer Sicht bin ich jemand, der den Dingen auf Grund geht. Vielleicht ein Philosoph, ja, ein Mystiker oder so. Aber, in dem Augenblick, in dem ich sage, ich bin das oder ich bin das, hast du sofort ein Bild im Kopf. Du siehst dann nicht mehr, was wirklich ist, sondern nur noch ein Bild von dem, was ist, eine äusserst begrenzte Projektion. All dein Status, dein Wissen, dein Besitz sind Dinge, die du hast. Sie haben nichts zu tun mit dem, was du bist. Wir sollten damit aufhören, uns selbst und andere zu Konserven zu machen. Der lebendige Moment – das, was jetzt geschieht – ist das, was ist – und das ändert sich von einem Moment zum nächsten. Wenn ich im Fluss dieses Moments bleibe, völlig offen und spontan für das was ist, bedeutet das zu leben. So gesehen ist die Sicht aus der Perspektive des Mystikers nichts besonders, sondern eine ganz einfache, natürliche Sicht der Dinge.

Was ist der Unterschied zwischen einem Mystiker, einem Yoga-Meister und einem Yoga-Lehrer? Was macht das für den Yoga-Schüler für einen Unterschied?

Ein Mystiker ist jemand, der die Welt aus einer Perspektive sieht, die anderen Menschen nicht zugänglich ist. Während sich unserem üblichen Verständnis gemäss der Welt und die Dinge vom groben zum immer feineren und komplexeren hin erschliessen, nimmt der Mystiker die Welt aus der entgegengesetzten Perspektive heraus wahr. Es nimmt die Welt aus der Perspektive ihrer Entstehung heraus wahr, nämlich vom Feinen zum immer Gröberen hin. Es ist dabei ganz egal, welchen Hintergrund der Mystiker hat, oder welcher Tradition er angehört: Er kann Yoga-Meister sein, Zen-Meister, Sufi-Meister oder ein schamanischer Meister, er kann Buddhist, Hindu, Christ, Taoist oder was auch immer sein. All diese Traditionen haben das Problem, dass sie Inhalte vermitteln, die sich unserem Intellekt entziehen. Die Vermittlung der Inhalte durch einen Meister geschieht durch die Übertragung des Bewusstseins des Meisters auf den Schüler. Ein guter Yoga-Lehrer ist jemand, dem das Prinzip des Übertragens des Bewusstseins vertraut ist und es seinen Schülern zuteilwerden lässt. Ein Meister ist ein verkörpertes Prinzip dieser Übertragung.

Wie war dein Weg zum Yoga und zur Spiritualität?

Von meiner frühen Jugend an, habe ich verstehen wollen, warum die Welt so ist, wie sie ist. Ich wunderte mich, dass die Menschen in meinem Umfeld so wenig Interesse für die wirklich essenziellen Themen des Lebens zeigten. Ich hatte das klare Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Als Kinder sind wir sehr wach. Wir spüren genau, was ist und wir wollen prüfen, ob unsere Wahrnehmung stimmt. Aber dann kommen wir in die Schule und spätestens dann ist es mit dieser Wachheit vorbei. Bei mir war das nicht so. Ich habe nicht aufgehört, weiter zu fragen. Dann habe ich sehen müssen, dass es hier bei uns im Westen nur sehr begrenzt möglich ist, sich gewissen Wahrheiten zu nähern. Also habe ich in den östlichen Philosophien weitergesucht. Ich habe Meister aus verschiedenen Traditionen gefunden, die mich in die tiefsten Geheimnisse des Lebens eingeweiht haben. Dafür bin ich unendlich dankbar. Ich erlernte auf meiner intensiven Suche Praktiken, die nur wenige andere erlernt haben. Ich wurde angewiesen zu praktizieren – und tat es. Bis heute war ich über zwanzig Mal in Indien und kann auf rund 35.000 Stunden Yoga- und Meditations-Praxis zurückblicken. Die Antworten auf meine Fragen habe ich gefunden, und noch viel mehr…

Du nennst deine Methode ’The Essence’, erzähl uns doch bitte, was deine Methode beinhaltet

Dadurch, dass ich ganz verschiedene Lehren aufgenommen habe, erkannte ich, dass die spirituellen Lehren und Religionen Gemeinsamkeiten aufweisen. Es gibt ein gemeinsames Extrakt. „Was sind diese Gemeinsamkeiten, die ganz am Ende allen religiösen und spirituellen Wegen gemeinsam ist?“ Das war die Frage, die mich beschäftigt hat. Nebenbei habe ich mich auch sehr für westliche Psychologie interessiert und auch hier wieder nach der Essenz und dem Gemeinsamen gesucht. Insbesondere Selbsterfahrungen mit Schattenarbeit halte ich heute grundsätzlich für sehr wertvoll. Ich habe da einiges ausprobiert. Es war mir wichtig eigene Erfahrung zu machen. Mich hat, seitdem ich ein junger Mann war, brennend interessiert, wie westliche Psychologie und Spiritualität miteinander zusammenhängen. Und da gibt es nur sehr wenige, die sich in beiden Bereichen wirklich auskennen.
Ich glaube, mein Glück war vor allem, dass ich mich bei meinen Studien immer ausserhalb der konventionellen Wege bewegt habe. In der Methode The-Essence fliesst all dieses Wissen zusammen. Obwohl die beiden Sichtweisen aus Ost und West sich völlig diametral entgegenstehen zu scheinen, fügen sich die Essenzen dieser Denkweisen am Ende perfekt zusammen – und das hat mich ganz ehrlich gesagt selbst überrascht.

Was heisst für dich Yoga? Was heisst für dich Meditation?

Yoga und Meditation sind vor allem das, was wir daraus machen. Es hängt zum einen wesentlich damit zusammen, in welche Richtung wir uns bewegen wollen und auch damit, von wem wir es erlernen. Yoga ist eine indische Philosophie-Richtung. Aber vielen hier bei uns im Westen ist das überhaupt nicht klar. Das Vermitteln dieser Philosophie ist das zentrale Anliegen und sollte stets den Mittelpunkt der Belehrungen ausmachen. Wir haben eine ganz andere Mentalität als die Asiaten. Es ist in Indien im Yoga-Unterricht üblich, dass viele Vorträge gehalten werden.

Die Leute sind dann sehr offen und hören andächtig zu. Wenn dann aber mit den Übungen begonnen wird, erfinden die Leute Ausreden und verlassen den Raum. Hier bei uns ist es genau umgekehrt. Wenn ich nach den Übungen eine Pause mache und dann beginne, von der Yoga-Philosophie zu sprechen, verlassen die Leute den Raum. In beiden Fällen liegt ausreichende Ernsthaftigkeit nicht vor. Was es braucht ist eben beides, das Verstehen und das praktische Üben. Das eine bedingt das andere, sie sind wie die zwei Flügel eines Vogels. Mit einem Flügel allein wird man nicht weit kommen.

Es gibt den klassischen Yoga-Ansatz, der stark im Hinduismus verankert ist. Dann gibt es einen etwas verwässerten, aber im Westen breit akzeptierten Ansatz. Wo verortest du deinen Integralyoga-Ansatz?

Auch wenn in religiösen hinduistischen Schriften immer von Yoga die Rede ist: Yoga und Hinduismus sind verschiedene Systeme. Yoga ist eine Philosophie. Der Hinduismus ist eine Religion. Es gibt im Hinduismus umfangreiche und sehr tiefgehende Mythologien, mit denen sich komplizierte Zusammenhänge relativ einfach darstellen lassen, was im Yoga gern genutzt wird. Unbedingt notwendig wäre das aber nicht und Yoga wäre dadurch auch nicht verwässert. Ebenso kann Yoga durch das Einbringen unnötiger religiöser Elemente verwässert werden. The-Essence und Integralyoga geben dem Yoga und der Spiritualität ihre Würde zurück, indem sie beide auf ihre grundlegende Substanz reduzieren und dabei trotzdem hilfreichen rituellen Elementen ihren angemessenen Platz lassen.

Was ist Integrales Yoga? Worin unterscheidet es sich von anderen Yoga-Formen?

Es gibt eine ganze Reihe von verschiedenen Yoga-Richtungen. Im Westen werden gerne neue Yoga-Richtungen präsentiert, aber im Grunde sind es lediglich verschiedene Spielarten einer Reihe sehr Körper-bezogener Übungen, die es in Indien so niemals gab. Hierbei handelt es sich meist um abgespeckte Versionen des Hatha-Yoga. Diese Art von Yoga ist eigentlich eine Vorbereitung auf höhere Yoga-Formen, um die es eigentlich geht. In Indien spricht man von Jnana-Yoga, Bhakti-Yoga und Karma-Yoga, Raja-Yoga, Kriya-Yoga, Kundalini-Yoga, Hatha-Yoga usw. Von Integralyoga kann gesprochen werden, wenn mehrere dieser Yoga-Grundformen parallel praktiziert werden. Eine solche Synthese verschiedener Methoden führt meiner Einschätzung nach mit erheblich weniger Aufwand zum Ziel.

Du arbeitest in der Klinik Heiligenfeld, einer Klinik, die spezifische Angebote für Hochsensible hat. Wie nimmst du die Arbeit mit hochsensitiven Menschen wahr? Was ist dir in der Arbeit mit ihnen wichtig?

Die Arbeit in den Heiligenfeld-Kliniken hebt sich tatsächlich in zwei Punkten von anderen Kliniken ab. Der erste Punkt: Die Therapeuten arbeiten mit einer großen Methodenvielfalt. Sie arbeiten mit jeweils ihrem Ansatz in einem Team zusammen und davon können sowohl das Therapie-Team, aber besonders auch die hochsensiblen Menschen selbst sehr profitieren. Es gibt nicht die hochsensible Person. Es gibt verschiedene Spielarten der Hochsensibilität. Jeder Fall muss individuell für sich betrachtet werden und dafür sind die Bedingungen hier gut. Der zweite Punkt ist, dass in den Heiligenfeld-Kliniken Spiritualität einen wichtigen Platz einnimmt. Das ist gerade auch für Hochsensible ganz wichtig.

Warum kann Yoga, oder eben gerade dein Yoga-Ansatz wichtig sein für Hochsensible?

Wir existieren als Menschen auf einer Reihe ganz verschiedener Ebenen. Die meisten Ansätze arbeiten auf den unteren drei Ebenen. Das ist die Ebene des physischen Körpers, die energetische Ebene und die emotional-mentale Ebene. Was aber, wenn eine Person derartig sensitiv ist, dass sie auf natürliche Weise zusätzlich einen Zugang zur nächsthöheren Ebene hat? Und was, wenn die Problematik dieser Person einfach darin begründet liegt, dass sie aus Sicht derer, die diesen Zugang nicht haben, einfach nur nicht verstanden wird? Entwicklungspsychologisch schreiten wir von einer Ebenen zur nächsten voran. Auf jeder der Ebenen, die wir im Laufe unserer Entwicklung durchlaufen haben, kann es kleinere oder grössere Pannen geben und für jede dieser Ebenen gibt es spezielle Therapie-Formen, um diese Pannen zu beheben. So wie es für die unteren drei Ebenen jeweils den einen oder anderen Therapieansatz gibt, gibt es für die darüber liegenden ebenso welche. Und das wären in diesem Fall unter anderem die höheren Formen des Yoga. Integralyoga deckt darüber hinaus die weiter unten liegenden Ebenen gleich mit ab. The-Essence geht noch weiter.

Inwiefern geht The-Essence da weiter?

The-Essence ist nicht auf die Philosophie des Yoga begrenzt und schliesst auch psychologische Elemente wie etwa Schattenarbeit mit ein. Im Yoga wird davon ausgegangen, dass zwischen uns und unserem eigentlichen Wesen eine Trennung besteht. Yoga ist der Prozess der Aufhebung dieser Trennung. Aus absoluter Sicht heraus hat diese Trennung allerdings nie bestanden. The-Essence arbeitet (wie der Name schon sagt) aus der letzteren Perspektive heraus.

Spiritualität kann für Hochsensible eine Ressource sein. Viele spirituelle Wege sind aber vielleicht auch weniger geeignet. Wie siehst du das und was ist bei deinem Ansatz aus deiner Sicht wichtig für hochsensitive Menschen?

Ich habe schon von Therapeuten gehört, dass viele der spirituellen Menschen, die ihnen begegnen, aus ihrer Sicht zu wenig Erdung haben. Anderseits fällt mir auf, dass die Menschen hier bei uns, verglichen mit denen in Indien, viel zu wenig „Himmlung“ haben. Es ist also sehr verständlich, dass die Menschen hier zunächst einmal an mehr Himmlung interessiert sind und das ist auch gut so, weil Himmlung das ist, was uns am meisten fehlt.

Viele hochsensible Menschen haben schon Kontakt mit Yoga und haben schon vom Aufstieg der Kundalini, der aufsteigenden Energie im Körper, gehört. Was weit weniger bekannt ist, dass es auch wichtig ist, die Kundalini-Energie wieder zur Erde herabzubringen. Im Integralyoga von The-Essence wird von Beginn an gleich an beiden Enden gleichzeitig angesetzt. Das ist sehr sanft, ausserordentlich effizient und hat trotzdem weniger unerwünschte Nebenwirkungen als manch anderer Ansatz. So kann der Schüler oder die Schülerin immer die Kontrolle über den Entwicklungs-Prozess behalten, indem er oder sie selbst bestimmt, wie weit gegangen wird.

Was ist die Bedeutung von regelmässiger Praxis, gerade auch für Hochsensitive?

Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass regelmäßige Praxis von Yoga oder Meditation Prozesse in Gang setzt, deren Bedeutung wir zu Beginn nicht erahnen können. Insbesondere Integralyoga, korrekt und mit der richtigen Haltung vermittelt, ist vergleichbar mit einer perfekten, individuell auf uns abgestimmten Psychotherapie. Nur geht sie erheblich darüber hinaus. Wenn die Übungen, die ich im Basic Circle vermittle, regelmäßig praktiziert werden, wird sich im Leben der Schülerinnen und Schüler definitiv etwas verändern. Das kann ich versprechen. Das besondere bei den Workshops in Bern ist, dass das Thema Hochsensibilität mit einfliesst. So werden unter anderem zusätzliche Techniken vermittelt, die die Hochsensitivität speziell berücksichtigen.

Du bietest in Bern einen Basis-Kurs an. Für wen ist dieser Kurs und was ist der Nutzen für Hochsensitive?

Die unteren Ebenen sind den Ebenen, die sich darüber befinden, untergeordnet. Die nächsthöhere Ebene ist die Steuerungsebene der jeweiligen Ebene darunter. Solange mir die Gesetzmäßigkeiten, die auf dieser Steuerungsebene wirken, nicht bekannt sind, kann es auf den Ebenen darunter zu Phänomenen kommen, die sich meinem Verständnis entziehen. Dazu ein Beispiel: In der Schulmedizin sind Behandlungserfolge begrenzt, wenn psychosomatische Ursachen vorliegen. Der Basis-Kurs bietet Werkzeuge an, die verborgene Mechanismen und Abläufe, von den tiefsten bis in die höchsten Bewusstseinsschichten, sichtbar machen können. Das schliesst sogar ganze Ebenen mit ein, von deren Existenz wir bislang nicht mal eine Ahnung hatten. Durch das bewusste Wahrnehmen dieser Ebenen werden die Mechanismen auf den darunter liegenden Ebenen sichtbar und die Lösungen für unser Problem offenbart sich oft ganz von selbst. Zu unserem Beispiel: Werden die den Krankheiten zugrunde liegenden Psycho-Dynamiken erkannt, verschwinden die Symptome oft von ganz allein.

Gibt es weiterführende Angebote?

Es gibt Angebote, die direkt auf dem Basis Circle aufbauen. Die Aufbauseminare werden auf der Internetseite www.the-essence.com bekanntgegeben. Im Oktober ist ein 14-tägiges Retreat in Südindien geplant. Mehr Infos gibt es auch auf den neuen Podcasts „Gespräche mit Ganesh“ auf Youtube, Spotyfi, usw. Die Podcasts „Gespräche mit Ganesh“ sind auch gut geeignet, um die Seminare vor- und nachzubereiten. Ein neuer Yoga-Studiengang wird bei ausreichender Nachfrage gestartet. Der Studiengang kann auch als Yogalehrer-Ausbildung (Integralyoga) fungieren. Auch Aufbau Seminare in Wochenend-Form sind demnächst wieder geplant.

Ganesh, vielen Dank für Deine Ausführungen.

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